Formel 1 vs Le Mans: Brembo Bremsanlagen und ihre Bremsleistungen im Vergleich

11.06.2018

 Brembo vergleicht die Bremsanlagen, die an die Teams beider Meisterschaften geliefert werden, und ihre Bremsleistungen

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Die Formel 1 und das 24-Stunden-Rennen von Le Mans sind seit mehr als einem halben Jahrhundert weltweit die wichtigsten Bewerbe für vierrädrige Prototypen: die hohen Investitionen, die die Autohersteller in den letzten Jahren getätigt haben, brachten den Einsitzern Hybridmotoren mit bis zu 1.000 PS.

In der Formel 1 werden diese Resultate mithilfe von Power Units erreicht, die aus sechs verschiedenen Elementen bestehen: einem 6-Zylinder-Verbrennungsmotor mit 1,6 l Hubraum und maximal 15.000 Umdrehungen/Minute; einem Turbolader; einer MGU-H (Motor Generator Unit – Heat); einer MGU-K (Motor Generator Unit – Kynetic); einem Steuergerät; einer Batterie

Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans haben die Konstrukteure hingegen viel mehr Möglichkeiten bei der Wahl, wie sie die Power Unit gestalten wollen: manche entscheiden sich für einen 2,4 l Bi-Turbomotor mit Rückgewinnung der kinetischen Energie, andere für einen einfachen 4,5 l Saugmotor (das Reglement sieht eine Höchstgrenze von 5,5 l vor). In der Formel 1 sind die Verzögerungen sehr stark, mit Werten, die oft über 5G liegen (in Monza werden sogar 6,7G erreicht), beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans ist die Bremsstärke nicht höher als 3,5G. Der Unterschiedl liegt daran, dass die Masse der beiden Fahrzeugtypen unterschiedlich ist.

Das Gewicht eines Formel 1 Boliden liegt inklusive Fahrer unter 733 kg, ein LMP1-Wagen, der in Le Mans fährt, wiegt mindestens 875 kg, plus 3 kg für die Ausstattung mit einer Fernsehkamera oder einer Ersatzstromversorgung. Die LMP1 ohne Hybrid können allerdings bis zu 45 kg weniger wiegen, kommen also auf etwa 833 kg.

 

 

ZWISCHEN 100 MINUTEN UND 24 STUNDEN BESTEHT EIN GROSSER UNTERSCHIED


Während ein Formel-1-Rennen meistens um die 100 Minuten und jedenfalls nie länger als zwei Stunden dauert, wird beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans einen ganzen Tag gefahren. Hier ein einfacher Vergleich zwischen zwei Rennstrecken, die sich hinsichtlich Länge, Beschaffenheit, geographischer Lage und Klima ähneln: während des GP von Belgien in Spa müssen die Formel-1-Wagen etwa 350 Bremsungen leisten, beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans kann die Anzahl der Bremsungen für einen LMP1 über 4.000 sein. Eine echte Herausforderung für Brembo, der aber mittlerweile zwanzig Jahre Erfahrung in Langstreckenrennen hat und individuelle Lösungen anbieten kann.
Die einzige Gemeinsamkeit, die die beiden Fahrzeugtypen im Bereich der Bremse haben, ist das Carbon-Material, das für die Herstellung der Bremsscheiben verwendet wird. Die Eigenschaften der Bremsscheiben unterscheiden sich aber sehr stark, wie ihr in der folgenden Tabelle sehen könnt:

 

Formel 124-Stunden von Le Mans
​Scheibenstärkes​bis 32 mm30-32 mm
Scheibendurchmesser, vorne​278 mmbis 380 mm
Scheibendurchmesser, hinten260 - 272 mmbis 355 mm
Anzahl Belüftungslöcher ​Mehr als 1.400zwischen 36 und 430
Betriebstemperatur 350-1000°C350-800°C
Verbrauch pro RennenWeniger als 1 mm3-4 mm Scheibe und 8-10 mm Belag​​
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Der unterschiedliche Scheibendurchmesser hängt von den Felgen, die in den beiden Meisterschaften eingesetzt werden, ab: in der Formel 1 sind derzeit 13-Zoll-Räder erlaubt, beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans werden 18-Zoll-Räder verwendet.


 


 

ZWEI EXTREME DER BELÜFTUNG


In der Formel 1 ist die Belüftung ein elementarer Bestandteil, um die Überhitzung der Anlage zu vermeiden. Je nachdem, welche Temperaturen während des Grand Prix erwartet werden und je nach der jeweiligen Rennstrategie hat jeder Fahrer drei alternative Lösungen an Brembo Bremsscheiben: mit etwa 900, 1.200 oder 1.400 Bohrungen.

Jedes Team kann auf ein individuelles Design für die Kühlung zählen, da dies für eine optimale Hitzeableitung sehr wichtig ist: die Scheibentemperatur in der Formel 1 kann bei Bremsungen in der Spitze bis zu 1.000°C erreichen. Die Belüftung bei einem LMP1 hat hingegen nicht so eine hohe Wichtigkeit, beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans haben die Teams eher das umgekehrte Problem im Vergleich zur Formel 1: statt die Bremsanlage zu kühlen, müssen sie, vor allem in der Nacht oder bei Fahrten hinter dem Safety Car, verhindern, dass die Temperatur zu stark sinkt. Das erklärt die geringe Anzahl von Belüftungslöchern, so wie sie in der Formel 1 vor Jahren verwendet wurden.

In Le Mans muss darauf geachtet werden, dass die Carbon-Bremsscheiben nicht unter 350°C abkühlen, da sonst die Gefahr der Verglasung (“glazing”) des Reibmaterials besteht, was zu einem Abfallen der Bremsleistung und einer erhöhten Abnutzung der Bremsscheibe führen würde. Um dem entgegenzuwirken, verwendet Brembo für Scheiben und Beläge Reibmaterial mit einer höheren thermischen Leitfähigkeit.

 

 


UNTERSCHIEDLICHE VERBRÄUCHE, INTEGRIERTE KONTROLLEN


Wie in der Formel 1 werden auch bei den LMP1 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans Brembo Bremsbeläge aus Carbon eingesetzt: die Belagstärke ist natürlich höher, um während der gesamten 24 Stunden die volle Funktionsfähigkeit zu garantieren.

Man muss nur daran denken, dass der Abrieb von Belag und Scheibe bei einem Formel-1-Rennen unter 1 mm liegt, während es in Le Mans 3-4 mm bei der Scheibe bzw. 8-10 mm beim Belag sind.

In der Formel 1 sind die Fahrzeuge mit Sensoren ausgestattet, die es den Ingenieuren in der Box ermöglichen, die Temperatur der Scheiben und der Sättel und tw. auch den Kolbenvorschub ständig unter Kontrolle zu halten: so kann die Abnutzung der Scheiben und Beläge berechnet werden.

 
 

Mit dieser Information kann in verschiedenen Bereichen eingegriffen werden und es können dem Piloten direkt Anweisungen gegeben werden, wie er seine „brake balance“ ändern und seine Energierückgewinnung bei den Bremsungen einstellen soll.

Die Brembo Bremsscheiben in Le Mans haben hingegen außer den Sensoren auch noch Kerben unterschiedlicher Tiefe, die es möglich machen, während der Boxenstopps und Fahrerwechsel rasch den Verschleiß zu kontrollieren. Wenn eine Kerbe verschwindet, bedeutet das, dass die Scheibe tiefer als diese Kerbe verschlissen ist. Wenn keine Kerbe mehr zu sehen ist, dann muss die Scheibe ausgetauscht werden, da sie die ursprüngliche Bremsleistung nicht mehr gewährleisten kann.


 

​DIE BREMSLEISTUNGEN IM VERGLEICH


Da die Rennen nicht auf denselben Strecken ausgetragen werden, scheint ein Vergleich eigentlichunmöglich.

Wir haben uns dazu entschieden, die jeweils härtesten Bremsungen der beiden Meisterschaften als Grundlage für einen Vergleich zu nehmen und von diesen die mittlere Verzögerung ins Verhältnis zur Bremszeit und dem Bremsweg zu bringen. Klarerweise sind die Fahrzeuge in der Formel 1 und in Le Mans sehr verschieden und ihr unterschiedliches Bremsverhalten kann und darf nicht nur auf die Bremse zurückgeführt werden.

Unterschiedliche Fahrzeugeinstellungen, Aerodynamik und vor allem verschiedene Reifengröße und –mischungen spielen genauso eine wichtige Rolle bei den unterschiedlichen Bremsleistungen. Der Vergleich, auch wenn er teilweise vielleicht hinkt, brachte doch interessante Resultate.   

 

 

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LMP1: LÄNGERER BREMSWEG UM ETWA 20 METER PRO SEKUNDE


In der Schikane 1 in Le Mans (der Kurve Nr. 5 auf der Strecke) erreichen die LMP1 335 km/h und bremsen 3,21 Sekunden auf einer Strecke von 195 Metern. Die Geschwindigkeit sinkt dabei auf 110 km/h, die höchste Geschwindigkeit, mit der man diese Schikane fahren kann, ohne von der Piste abzukommen. Dabei üben die Fahrer einen Druck bis zu 100 kg auf das Pedal aus und sind einer Verzögerung von 3,5 G ausgesetzt.

Am Eingang der Parabolica in Monza (letzte Kurve beim Grand Prix von Italien) kommen die Formel-1-Rennwagen mit 314 km/h an und bremsen in nur 1,22 Sekunden auf einer Strecke von gerade einmal 72 Metern auf 205 km/h ab. Die Kraft, die den Fahrern dabei abverlangt wird, ist beeindruckend: 6,7 G Verzögerung und ein Pedaldruck von etwas mehr als 200 kg.

Ein Formel-1-Wagen kann also in nur einer Sekunde mehr als 90 km/h langsamer werden ((314-205))/1,22), während im Vergleich dazu die LMP1 zwar auch eine beeindruckende Leistung bringen, aber in einer Sekunde nur um 70 km/h verzögern können ((335-110)/3,21).

Man könnte dagegen halten, dass der Set-Up der Rennwagen in Monza auf Höchstgeschwindigkeiten eingestellt wird und deshalb diese extreme Leistung möglich ist. ​


Das ist korrekt, allerdings sind die Bremsdaten in kurvigeren Rennstrecken wie Singapur und Monte Carlo ganz ähnlich und bestätigen damit die unglaubliche Bremskraft in der Formel 1.

In Singapur bremsen die F1-Rennwagen in der ersten Kurve des Marina Bay Street Circuit 1,98 Sekunden lang, um von 295 km/h auf 135 km/h zu kommen: pro Sekunde verlangsamen sie also um 81 km/h. In der ersten Kurve nach dem Tunnel (Nr. 10) beim GP von Monte Carlo bremsen die Fahrer innerhalb von 2,03 Sekunden von 286 km/h auf 94 km/h ab: in einer Sekunde verzögern sie also um 95 km/h. ​


 

FORMEL 1 ETWA 0,5 KM/H PRO METER EFFIZIENTER IN DER BREMSUNG


 


Das wirkt im ersten Moment vielleicht nicht beeindruckend, anders ausgedrückt erkannt man aber den Riesenunterschied: mit 72 Metern Bremsweg verliert ein F1-Wagen um mehr als 105 km/h an Geschwindigkeit, beim selben Bremsweg würde ein LMP1 hingegen nur um etwa 70 km/h verzögern.

Bei den beiden Varianten in Monza („Rettifilo“ und „Roggia“) bedeutend 72 Meter Bremsweg einen Geschwindigkeitsverlust von 122 bzw. 118 km/h. Auch die erhobenen Daten auf den Rennstrecken in Singapur und Monte Carlo bestätigen dieselben Unterschiede in der Bremsleistung: in der ersten Kurve des Marina Bay Street Circuit bremsen die Formel-1-Wagen in nur 81 Metern und in der ersten Kurve nach dem Tunnel des GP von Monte Carlo in 115 Metern. Im ersten Fall bringen 72 Meter eine Verzögerung um 115 km/h, im zweiten um 121 km/h in derselben Länge.

Kommen wir noch einmal zum Vergleich der Bremsdaten zwischen dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans und dem GP von Italien zurück: auch anhand der Daten, wie viele km/h in nur einem Meter abgebremst werden kann, erkennt man deutlich die höhere Bremsleistung der Formel-1-Wagen: in der Schikane 1 des „Circuit de la Sarthe“ in Le Mans entspricht jeder Meter Bremsweg einer Verzögerung von 1,15 km/h, während bei der Variante/Rettifilo in Monza jeder Meter Bremsweg eine Verlangsamung um 1,7 km/h bedeutet.


 

Abschließend können wir also festhalten, dass in einem Wettkampf zwischen F1 und LMP1 auf den ersten 300-500 km des Rennens ohne Zweifel die Formel-1-Wagen die Nase vorn hätten - beim Bremsen. Genauso klar ist es aber, dass die Formel-1-Wagen nach gerade einmal einem Achtel eines 24-Stunden-Rennens die Bremsen schon verschlissen hätten.​​ ​