20 Jahre Formel 1 – Bremsscheiben: Die Entwicklung von Brembo

16.09.2022

 Die wichtigsten Etappen der Brembo Carbon-Bremsscheiben in der Formel 1

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In der Formel 1 hat jedes kleinste Teil Einfluss auf die Leistung und Zuverlässigkeit der Rennwagen. Aus diesem Grund dürfen Entwicklung und Innovationen niemals zum Stillstand kommen und sie betreffen mittlerweile tatsächlich jede einzelne Komponente, auch solche, die im letzten Jahrhundert noch als eher nebensächlich angesehen wurden. Brembo - seit 1975, als erstmals eine kleine Serie von Bremsscheiben aus Grauguss an die Scuderia Ferrari geliefert wurde, in der Formel 1 aktiv - ist an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt, das zeigt unter anderem der erste, aus dem Vollen gefräste Monoblock-Bremssattel aus dem Jahr 1988. 


Eine Innovation, die dank der Kombination aus Festigkeit und Leichtigkeit die Art, wie die Fahrer bremsen, revolutioniert hat. Seither bleibt das Bremsen für die Piloten, die diesen Sattel einsetzen, vom Start bis zum Ziel absolut konstant, ohne Gefahr zu laufen, dass der Pedalweg im Laufe des Rennens länger wird. ​

 

Abgesehen von der kontinuierlichen Forschung, um im Bereich der Bremssättel die Leistung und die Haltbarkeit weiter zu verbessern, hat Brembo sich in den letzten 20 Jahren auch auf die Carbon-Bremsscheiben konzentriert und Lösungen, um die Betriebstemperatur unter Kontrolle zu halten, entwickelt. 


Die Evolution der Bremsscheiben erkennt man mit bloßem Auge, denn, damit mehr Luft an die Scheiben kommt und dadurch die Bremsen schneller abkühlen, wurde die Anzahl der radialen Bohrlöcher bei gleichzeitiger Verkleinerung ihrer Durchmesser immer mehr erhöht. ​


 

Vor 20 Jahren hatten Brembo Bremsscheiben aus Carbon höchstens 72 Löcher: sie waren alle in einer Reihe und sie hatten einen Durchmesser von mehr als 1 cm. Unter anderem diesen Kühllöchern hat Michael Schumacher es zu verdanken, dass er 2002 die WM mit 11 Siegen und 17 Podiumsplätzen in ebenso vielen Grand-Prix-Rennen gewonnen hat. 


Innerhalb von vier Jahren weiterer intensiver Forschung wurde die Anzahl der Löcher auf jeder Bremsscheibe in der Formel 1 verdreifacht: 2006 waren es 100 Löcher – mit kleinerem, nun ovalen Durchmesser. Zu diesem Zeitpunkt schien dies die optimale Lösung zu sein. 


Im Reglement der Saison 2007 wurde dann festgelegt, dass der Scheibendurchmesser 278 mm und die Scheibendicke 28 mm betragen mussten. Die Bremsen durften nur luftgekühlt sein und das System durfte nicht weiter als bis zum hinteren Rand des Rades gehen. Daher mussten sich die Entwicklungsingenieure von Brembo auf diese Eigenschaften konzentrieren.


 

 

Ab 2008 wurden die Löcher, auch um der maximal zulässigen Scheibendicke von 28 mm Rechnung zu tragen, in zwei Reihen angelegt, die an einer Stelle aufeinandertrafen. Sie sahen wie umgedrehte “8” aus. Abgesehen vom veränderten Lochbild wurde auch die Anzahl der Löcher auf etwa 200 pro Bremsscheibe verdoppelt. 


2010 wurde das Tanken während der Rennen verboten. Aus diesem Grund mussten die Tanks vergrößert werden, das Mindestgewicht der Fahrzeuge wurde von 605 kg auf 620 kg erhöht. Die Innovationen konzentrierten sich in jenem Jahr darauf, sowohl bei leerem als auch bei vollgetanktem Fahrzeug höchste Effizienz zu garantieren. Die Anzahl der Kühllöcher trat dabei in den Hintergrund. ​

 

Zwei Jahre später verbot die FIA die Verwendung von Luftauslässen, wodurch der Abtrieb am Heck geringer wurde. Infolgedessen verlagerte sich die Bremsverteilung noch mehr nach vorne. Brembo erhöhte die Anzahl der Löcher, um den höheren Anforderungen Rechnung zu tragen, ohne ein Überhitzen der Bremsanlage zu riskieren. 


Dank computerunterstützter Berechnungen der Strömungsmechanik (CFD), aber auch durch die Fortschritte bei der mechanischen Bearbeitung von Carbon gelang es 2012, die Anzahl der Löcher auf jeder Bremsscheibe auf 600 zu erhöhen. Die Löcher wurden nun in vier Reihen angelegt, ihre Durchmesser verkleinert und die Überlappung, durch die die Fläche, die mit der Kühlluft in Kontakt kam, reduziert war, wurde entfernt. ​


 

Da 2013 keine wesentlichen Änderungen des Reglements berücksichtigt werden mussten, konnte Brembo sich darauf konzentrieren, eine neue Carbon-Art für die Bremsscheiben einzuführen: im Unterschied zum Material CCR, das bisher verwendet wurde, konnte mit dem Material CER die optimale Betriebstemperatur deutlich schneller erreicht werden, außerdem wurde der Betriebsbereich um einiges größer und das Ansprechverhalten noch linearer. 


Auch im Jahr 2014, in dem das Reglement weitreichend revolutioniert wurde, war Brembo gut vorbereitet. In jener Saison kamen die Turbomotoren, die seit 1988 nicht mehr verwendet wurden, wieder zurück, allerdings wurden der Hubraum auf 1,6 l und die Umdrehungen auf 15.000 pro Minute beschränkt. In diesem Jahr wurde auch die Hybridtechnologie in Form zweier Elektromotoren eingeführt und das Mindestgewicht des Fahrzeuges von 642 kg auf 691 kg erhöht. 


Die erheblich höhere Masse und die gleichzeitige Einführung von Brake-by-Wire machten es notwendig, die Bremsanlage neu zu entwickeln. Zusätzlich wurde auch in diesem Jahr die Belüftung noch weiter verbessert, die Anzahl der Löcher überstieg auf jeder Bremsscheibe die tausend. ​

 

Im Jahr 2016 konnten durch das besondere Design 1.100 Löcher auf jeder Bremsscheibe gebohrt werden. Das war der Auftakt zu einer neuen Herausforderung, denn 2017 wurde die Breite der Autos wieder auf genau 2 Meter zurückgebracht, also auf einmal um 20 cm erhöht. Auch die Breite des Frontflügels und der Reifen wurde vergrößert, was zu einer um 25 Prozent höheren Leistung, auch des Bremsmoments, führte. 


Das Reglement wurde an diese Leistungssteigerung angepasst und dabei die Bremsscheibendicke von 28 mm auf 32 mm erhöht. Die größere Scheibendicke machte eine weitere Erhöhung der Lochanzahl und damit nochmals eine Verbesserung der Kühlung möglich. Ab der Saison 2017-2018 gab es daher 1.260 Kühllöcher pro Bremsscheibe. ​


 

Die Rennställe konnten bei den Brembo Bremsscheiben aus drei Lösungen die für sie am besten passende aussuchen, je nachdem, welche Temperaturen sie im jeweiligen Grand Prix erwarteten bzw. für welche Strategie sie sich entschieden. Noch deutlicher wurde dies 2020 mit dem Angebot von sechs verschiedenen Carbon-Bremsscheiben-Lösungen, um den immer stärker werdenden Power-Units entgegenhalten zu können. 


An der Vorderachse konnten die Teams zwischen den Bremsscheiben Very High Cooling mit 1.470, in 7 Reihen angeordneten Bohrungen, High Cooling mit 1.250 Bohrungen in 6 Reihen und Medium Cooling mit 800 Bohrungen in 4 Reihen wählen. Jede dieser Bremsscheiben war auch in einer Version mit einer Bearbeitung am Außendurchmesser, dem sogenannten „Groove“, der eine zusätzliche Belüftung an der Außenseite ermöglichte, erhältlich. ​


 

In der aktuellen Saison sind die sechs Varianten der Belüftungsformen für die Vorderachse zu gerade einmal zwei Modellen geschrumpft. Der Grund dafür ist wieder eine revolutionäre Änderung des Reglements: Das Mindestgewicht stieg von 752 kg auf 798 kg, die Aerodynamik wurde verändert und die Reifen sind nun 18-Zoll groß statt wie bisher 13-Zoll. 


Dieses neue technische Reglement wirkt sich natürlich auch auf die Bremsanlage aus, der Scheibendurchmesser wurde vorne von 278 mm auf 328 mm bzw. hinten von 266 mm auf 280 mm erhöht, die Scheibendicke der hinteren Bremsscheibe ist nun 32 mm statt wie bisher 28 mm. ​

 

Auch das Design wurde verändert, denn Kühllöcher auf den Belägen sind nun verboten und die Löcher auf den Bremsscheiben müssen mindestens 3 mm Durchmesser haben. Da die Bohrungen in der vergangenen Saison nur noch einen Durchmesser von 2,5 mm hatten, wurde die Anzahl der Kühllöcher zum ersten Mal wieder verringert und zwar von 1.470 im Jahr 2021 auf aktuell 1.050. 


Für die kommenden Jahre erwartet man weitere Änderungen im Kampf gegen den thermischen Stress, den Feind Nummer 1 in der Formel 1. ​