10 “Fake News” zur Nascar und ihren Bremsen. Die Formel 1 ist nicht weit

13.06.2019

 Die Nascar Cup Series ist ein Riesenspektakel: das Format dieser Meisterschaft, die geringen Unterschiede beim Budget der Rennteams und die sehr ähnlichen Leistungen der drei zum Einsatz kommenden Motoren sind verantwortlich für das hohe Gleichgewicht, das bei den Rennen herrscht und das für geringe Abstände und ungewissen Ausgang sorgt.

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Wenig spektakulär auf der Rennstrecke, stattdessen Hi-Tech und die Einführung neuer technischer Lösungen bei fast jedem Grand Prix: die Formel 1 ist unbestritten die Königsklasse des Motorsports, lässt aber genau aus diesen Gründen beim Gleichgewicht zwischen den Teams etwas zu wünschen über. Dementsprechend konnten von 2015 bis heute nur drei Rennteams zumindest ein Rennen gewinnen.​​​

Die Nascar Cup Series ist demgegenüber das Reich des Spektakels, das zeigt sich schon daran, dass 2018 zwölf verschiedene Fahrer mindestens ein Rennen gewinnen konnten. Ihr Format, die geringen Budgetunterschiede der einzelnen Rennteams und die sehr ähnlichen Leistungen der drei zum Einsatz kommenden Motoren leisten ihren Beitrag dazu, dass ein viel höheres Wertegleichgewicht herrscht, das uns Rennen mit äußerst geringen Abständen und bis zur Zielflagge ungewissem Ausgang beschert.​

Viele denken dabei, dass die Nascar Cup Series solche Resultate nur dadurch erreichen kann, dass technologische Entwicklungen auf ein Minimum reduziert werden, und veraltete technische Lösungen eingesetzt werden, die nur den Status Quo halten sollen. In Wirklichkeit werden aber, um die relativ schweren Autos (1.542 kg) optimal fahren zu können, ständig neue Lösungen gesucht und entwickelt.​

Was diejenigen, die die Nascar Cup Series nicht regelmäßig verfolgen, wundern wird, ist, wie viel Aufwand bei den Bremssystemen betrieben wird - und zwar sowohl in der Entwicklung als auch bei der Verwendung. Deshalb haben wir hier zu diesem Thema zehn „Fake News“ zusammengetragen, die die Nascar Cup Series betreffen. Wir werden eine nach der anderen widerlegen.​​


 

1) Bei der Formel 1 werden die Bremsen mehr eingesetzt als in der Nascar Cup Series. FALSCH​

Im Verhältnis zur Renndauer werden die Bremsen in der Formel 1 zu 13 bis 27 Prozent eingesetzt: in Monza und Spa-Francorchamps werden sie dabei im Verhältnis am wenigsten eingesetzt - die Bremsen kommen dort in jeder Runde 10,5 bzw. 13 Sekunden zum Zug. In Spielberg werden die Bremsen dagegen zwar nur 9,8 Sekunden pro Runde verwendet, die Piste ist aber deutlich schneller, daher bedeuten diese 9,8 Sekunden dort 15% der Renndauer. ​

In der Nascar Cup Series gibt es weitaus größere Unterschiede zwischen den einzelnen Rennstrecken: bei den großen Ovalkursen, wie z.B. Talladega und Daytona, verwenden die Piloten die Bremsen gar nicht, außer wenn sie zurück zur Box fahren oder im Falle eines Unfalls. Auf kürzeren Ovalkursen, wie z.B. Martinsville, verwenden die Fahrer die Bremsen jeweils ca. sieben Sekunden in den beiden Kurven. Da die Rundenzeiten dort aber ungefähr 20 Sekunden sind, werden die Bremsen 70% der Zeit eingesetzt.​


 

2) Die Bremsen sind nicht entscheidend, da auf Ovalkursen gefahren wird. FALSCH​


 

Seit 2018 werden drei Rennen auf Straßenkursen ausgetragen: die Fahrzeuge der Nascar Cup Series bestreiten Rennen auf dem Sonoma Raceway (3,2 km lang, 10 Kurven), in Watkins Glen (5,4 km lang, 11 Kurven) und auf dem Charlotte Motor Speedway (3,7 km lang, 17 Kurven). Letzterer wurde im September 2018 der erste Straßenkurs, der bei den Playoff gefahren wurde, was die steigende Bedeutung dieser Art von Rennstrecken zeigt.​


 

Auf diesen Pisten werden die Bremsen klarerweise vor fast jeder Kurve eingesetzt, um die Geschwindigkeit zu drosseln. Im Durchschnitt wird dabei pro Runde für 20 bis 30 Sekunden auf die Bremse gedrückt, was in etwa 30% der Renndauer entspricht. Um in Watkins Glen die Überhitzung der Bremsanlage zu verhindern, werden dort 22 mm dicke Bremsscheiben mit Belüftungskanälen von Brembo verwendet.​

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3) Da die Bremsen in der NASCAR nicht aus Carbon sind, sind sie veraltet. FALSCH​


 

Einer der Unterschiede der Bremsscheiben in der Formel 1 bzw. der Nascar Cup Series ist ihr Material: in der US-Meisterschaft ist die Verwendung von Carbon verboten, daher werden in den Rennautos Gussbremsscheiben verwendet. Aus diesem Grund denken manche, dass es sich um veraltete Technologien handelt, und wissen nicht, wie viel Forschung und Entwicklung Brembo in die verschiedenen Variablen und Eigenschaften der Gussbremsscheiben hineinsteckt: das fängt schon bei der Belüftung der Scheiben, die zur Abkühlung während des Rennens wichtig ist, an. Dabei stehen die Computersimulationen und die Tests auf statischen und dynamischen Testbänken, die Brembo durchführt, um die optimalen Dimensionen, Formen bzw. Anzahl und Biegung der Belüftungskanäle zu definieren in nichts denen für die Belüftungsbohrungen der Carbon-Bremsscheiben nach. ​


 

Genauso werden die Anschlüsse der Reibringe an den Bremstopf optimiert, um Verformung und Rissbildung bei Überhitzung zu verhindern. Dieselbe Aufmerksamkeit richtet Brembo auf die Entwicklung und Herstellung der Oberflächen der Gussscheiben für die Nascar Cup Series und nicht zuletzt darf auch die Wichtigkeit der Materialzusammensetzung des verwendeten Gusses, ebenfalls Thema ständiger Entwicklungsarbeit, nicht unterschätzt werden. Gerade weil diese Bremsscheiben aus Gusseisen sind, hat diese Entwicklungsarbeit auch direkte Auswirkungen auf die Bremsscheiben, die in die gängigsten Straßenfahrzeuge eingebaut werden. ​
 

 

 

4) Die Bremsanlagen sind, wie bei der Formel 1, auf allen Rennstrecken dieselben. FALSCH​

Im Gegensatz zur Formel 1, wo alle Rennteams während der gesamten Rennsaison denselben Bremssattel verwenden (außer im Falle technischer Neuentwicklungen), benötigen die Nascar Teams für die drei unterschiedlichen Rennstreckenarten jeweils einen anderen Bremssattel, da die Bremsen völlig unterschiedlich eingesetzt werden. Auf den Super Speedway (den mindestens 4 km langen Ovalkursen) werden die Bremsen ausschließlich bei der Einfahrt in die Boxen oder, wenn die gelbe Fahne gezeigt wird, verwendet. Auf den Intermediate (den 1,6 bis 4 km langen Ovalkursen) werden die Bremsen sehr wenig eingesetzt, auf den Short Tracks hingegen bleibt die Bremse während der gesamten Kurve in Aktion.​

Daraus ergibt sich, dass bei den Super Speedway sehr kleine Bremssättel eingebaut werden, in den Short Tracks größere und in den Intermediate ein Mittelding der beiden. Ähnlich ist es bei den Bremsscheiben: während in der Formel 1 die Abmessungen der Bremsscheiben das ganze Jahr dieselben sind und nur die Belüftungsbohrungen variieren („medium cooling“ 800 Bohrungen, „high cooling“ 1.250 Bohrungen und „very high cooling“ 1.480 Bohrungen), ändern sich in der Nascar auch die Durchmesser und Scheibenstärken der vorderen Bremsscheiben je nach Beschaffenheit der Rennstrecke.​


 

5) Die Verzögerung stieg im Vergleich zur Formel 1 weniger stark an. FALSCH​

Im Verlauf eines Jahrzehnts stieg die Maximalverzögerung in der Formel 1 um ca. 10-14% an. Das zeigt sich z.B. in der ersten Kurve beim GP von Italien in Monza, der Rettifilo-Variante, in deren Einfahrt die Verzögerung, der die Piloten ausgesetzt sind, von 5 g im Jahr 2009, auf 6,7 g im Jahr 2018 gestiegen ist. ​

Im letzten Jahrzehnt entwickelten sich auch die Bremsen in der Nascar Cup Series stark weiter – dabei konnte Brembo dank der in 40 Jahren gesammelten Erfahrung im Rennsport einen großen Beitrag leisten. Obwohl die aktuellen Bremssättel nur mit vier Kolben ausgestattet sind, haben sie dieselbe Bremskraft wie die 6-Kolben-Sättel der Jahre zuvor. Die Verbesserung der Scheiben und Beläge brachte schließlich eine 20%ige Steigerung der Maximalverzögerung. ​


 

 

 

6) Die Bremsanlagen sind für alle Fahrer dieselben. FALSCH​

In der Formel 1 bestimmt jedes Team, je nach den individuellen Erfordernissen der Fahrzeuge, gemeinsam mit den Brembo Ingenieuren das optimale Verhältnis zwischen Gewicht und Steifigkeit der Bremssättel. Manche legen das größere Augenmerk auf die Leichtigkeit und akzeptieren daher eine geringere Steifigkeit, andere entscheiden sich für konservativere Lösungen mit höherer Steifigkeit, dafür aber auch einem höheren Gewicht. Eine knifflige Angelegenheit, die es mit sich bringt, dass Brembo die Bremsanlagen für jeden Rennstall völlig unabhängig entwickelt. ​

Was viele nicht wissen, ist, dass auch in der Nascar Cup Series jedes Team von Brembo mehr oder weniger individuelle Bremsanlagen erwartet. Und da im selben Rennstall Fahrer mit unterschiedlichen Fahrstilen sein können (der eine bremst z.B. am Anfang stark und lässt dann nach, der andere bremst genau umgekehrt), kann es durchaus passieren, dass zwei Teamkollegen völlig unterschiedliche Reibmaterialien verwenden. ​

In diesem Fall betrifft nämlich die Personalisierung vor allem das Reibmaterial und die belüfteten Bremsscheiben mit unterschiedlichen Durchmessern und Stärken, individuell auf die Aerodynamik der Fahrzeuge angepasst. Um für jeden Rennstall das Passende zu finden, entwickelt Brembo für jeden einzelnen Ad-hoc-Lösungen der Belüftungskanäle für die Bremsscheiben.​


 
 

7) In der Nascar Cup Series werden die Bremsen nur zum Bremsen eingesetzt. FALSCH​

Seit seinem ersten Auftritt in der Formel 1 fiel Michael Schumacher mit seiner Fähigkeit, gleichzeitig zu bremsen und Gas zu geben, auf: mit dem rechten Fuß auf dem Gaspedal, mit dem linken auf die Bremse - so konnte er mit höherer Geschwindigkeit als seine Konkurrenten in die Kurve einfahren und damit auf der Rennstrecke in jeder Kurve wertvolle Hundertstelsekunden gewinnen.​

Genauso ist es auf den großen Ovalstrecken der Nascar Cup Series wie Indianapolis, Daytona und Talladega, wo ein Auto ganz knapp hinter dem anderen durch die Kurven rast und die Piloten das Bremspedal nur minimal betätigen, um nicht auf den Vordermann aufzufahren. So kann der Motor auf Vollgas bleiben, was bei Loslassen des Gaspedals natürlich nicht möglich wäre. Auf den kleineren Ovalstrecken wird die Bremsanlage außer zum Bremsen auch dafür verwendet wird, das Auto besser durch die Kurve zu lenken.​


 
 

8) Die Temperaturen, die die Sättel in der Nascar Cup Series erreichen, sind niedrig. FALSCH​

In der Formel 1 kann der Aluminium-Lithium-Bremssattel auf Rennstrecken, die durch viele Bremsmanöver gekennzeichnet sind, wie z.B. dem GP von Monte Carlo und dem GP von Ungarn, bis zu 200°C erreichen. Auf anderen Strecken kommt er auf 150-160°C. Die Hitze wird dabei aber sofort wieder abgeführt, da bei so hohen Temperaturen sonst die Gefahr bestünde, dass die Sattelsteifigkeit darunter leidet. ​​

In der Nascar Cup Series können die Bremssättel dagegen bis zu 440°F, also mehr als 226°C erreichen. Beläge und Scheiben erhitzen sich dabei noch um einiges mehr, nämlich auf bis zu 871°C bzw. 982°C. Möglich wird dies durch die Brembo Bremsflüssigkeit HTC 64T, die mit 335°C einen höheren Siedepunkt als die Wettbewerbsprodukte aufweist. ​


 

9) Die Sättel sind im Vergleich zu denen der F1 und der GT sehr schwer. FALSCH​

Um Autos zu bremsen, die mehr als 1,5 Tonnen wiegen, würden wir sehr große Bremsanlagen erwarten. Der vordere 6-Kolben-Monoblock-Bremssattel von Brembo für die Short-Track-Rennen wiegt 2,8 kg, der 4-Kolben-Sattel für die Super-Speedway-Rennen nicht mehr als 2,3kg. Die hinteren Bremssättel sind noch leichter: 2 kg der für die Short Tracks, 1,5 kg für die Speedway-Bewerbe, für die es sogar die „Light“-Version mit 1,2 kg gibt.​

Diese Werte liegen im selben Bereich wie die der vorderen Bremssättel in der Formel 1 und der Formel E.​​

 

 

10) Die Abnutzung der Bremsen in der Nascar Cup Series ist gering. FALSCH​

Während eines Formel-1-Grand-Prix nutzen sich die Bremsbeläge und –scheiben aus Carbon um weniger als 1 mm ab. Die Rennautos, die beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans fahren und auch Reibmaterial aus Carbon einsetzen, verbrauchen im Vergleich dazu im Rennen während der 24 Stunden 3-4 mm an der Bremsscheibe bzw. 8-10 mm bei den Belägen.​

Aber auch diese Werte sind nichts im Vergleich zur Abnutzung der 9 mm, der jeder Bremsbelag durchschnittlich in Martinsville ausgesetzt ist, und der 11 mm, die in Watkins Glen abgerieben werden. Diese Werte zeigen noch einmal deutlich, dass die Rolle der Bremsen in der Nascar Cup Series alles andere als marginal ist. ​


 
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