Das Märchen von Sebastian I., dem Eroberer

05.12.2022

 Sebastian Vettels Karriere in der Formel 1 als wäre es ein Märchen.

​​​​​​​​​

Es war einmal vor langer Zeit ein junger Mann mit voller, blonder Mähne. Sein Herz schlug für Autos, so sehr, dass seine Eltern ihm mit drei Jahren ein Go-Kart kauften. Wie so viele Kinder fuhr auch er zunächst zum Spaß, aber im Innersten wusste er schon damals, dass er weiterkommen wollte, auf dass die Welt zu seinen Füßen liegen möge. 


Für seinen Traum, zum Eroberer zu werden, benötigte er keine Waffen, es reichte das Talent, das Mutter Natur ihm in die Wiege gelegt hatte. Und so geschah es, dass Sebastian Vettel am 17. Juni 2007 seinen ersten Auftritt in der Formel 1 hatte. Ein sensationelles Debüt, 7. im Qualifying, 8. im Rennen, dem Grand Prix der USA, am Steuer seines BMW Sauber, ausgestattet mit Brembo Bremsen.


 

An diesem Tag wurde Vettel der damals einzige „Under 20“, dem es gelungen war, in der Formel 1 in die Punkteränge zu fahren. Ein Rekord, der ihm zwar sieben Jahre später genommen wurde, der aber gleich zu Anfang alle seine Rivalen aufhorchen ließ. Acht Monate zuvor hatte ein gewisser Michael Schumacher seinen Helm an den Nagel gehängt und sich mit sieben Weltmeistertiteln in der Tasche, die er alle auf Pferden, die von Brembo gezähmt wurden, errungen hatte, zur Ruhe gesetzt. 


Das neue Gesicht in der Formel 1 weckte sofort großes Interesse bei den deutschen Fans, aber auch in Italien, besonders in Faenza, leuchteten viele Augen. Und so kam es, dass Toro Rosso den talentierten Heppenheimer ab dem GP von Ungarn engagierte: besser einen mit solchen Fähigkeiten auf seiner Seite zu haben statt als Kontrahenten. Sich an die neue Situation zu gewöhnen, war nicht einfach, aber in Japan stellte der Deutsche seinen Mix aus Mut und Intelligenz zum ersten Mal zur Schau und übernahm in der 29. 


Runde die Führung. Vettel war bei seinem ersten Sieg erst 20 Jahre 2 Monate und 27 Tage alt, fast ein Jahr und fünf Monate jünger als der vorherige Rekordhalter. Fast unnötig zu erwähnen, dass sich Sebastian auch in diesem Fall auf Bremsen von Brembo verließ, so wie Toro Rosso das während seiner gesamten Zeit tat.



 
​​

Ab diesem Zeitpunkt schien das Podium zum Greifen nah und doch entwischte es ihm jedes Mal: 4. beim GP von China 2007, 5. in Monaco 2008 und beim GP von Belgien 2008. So wie in den meisten Märchen musste auch unser Held lange warten, bis die Dinge sich zum Guten wendeten. Am 13. September 2008 konnte Vettel in Monza vom Regen profitieren und ließ zuerst im Q2 und dann auch im Q3 alle hinter sich. 76 Hundertstel Vorsprung reichten ihm, um die Poleposition zu erobern – damit war er der jüngste Fahrer aller Zeiten auf der Poleposition, ein Rekord, den er bis heute hält. 


Viele dachten, dass der Traum mit dem Glockenschlag um Mitternacht zu Ende gehen und seine Rivalen ihn zerfleischen würden. Doch weit gefehlt, am nächsten Tag verwandelte sein SRT3 mit Ferrari-Motor sich dank Sebastians großartigem Können am Steuer nicht in einen Kürbis und so fuhr er zum ersten Mal als Erster über die Ziellinie. Vor ihm hatte noch nie ein Fahrer, der noch keine 22 Jahre alt war, in der Formel 1 gewonnen: Vettel gelang dieses Meisterwerk mit 21 Jahren 2 Monaten und 11 Tagen und ist damit noch heute der Zweite in der Rangliste aller Zeiten. Die Provinz Ravenna feierte ihn als Helden, König Mateschitz lud ihn an den Hof ein, um die Kaiserkrone nach Österreich zu holen , etwas, was bis dahin keinem gelungen war. Gerade einmal drei Rennen musste er sich gedulden, bis er auch mit Red Bull einen Doppelerfolg, Pole und Sieg an einem Wochenende, feiern konnte. 


Daran fand er wohl Gefallen und legte danach die Messlatte noch höher: Am Wochenende vom 20. /21. Juni 2009 holte er die Pole Position, gewann den GP von Großbritannien und fuhr auch noch die schnellste Runde während des Rennens. All das im Alter von nur 21 Jahren 11 Monaten und 18 Tagen. ​


 

 

Die Schatztruhe des Teams begann sich mit Juwelen zu füllen - dazu zählten unter anderem auch die Bremssättel von Brembo - und in der Meisterschaft wurde Seb mit nur elf Punkten Rückstand auf Jenson Button Zweiter. Damit legte er den Grundstein für die Dominanz in den folgenden vier Jahren. Nach seinem Ausscheiden wegen Motorproblemen in Südkorea, schienen seine Chancen auf den Titelgewinn 2010 allerdings sehr gering. Tatsächlich lag er im Klassement nur an vierter Stelle, mit 4 Punkten Rückstand zu Lewis Hamilton, 14 hinter Teamkollegen Mark Webber und sogar 25 hinter Fernando Alonso. 


Doch dann schaffte er es mit seinem RB6, eine Bresche in die Phalanx der Gegner zu schlagen und alle seine Konkurrenten beherzt abzuhängen: er gewann den Grand Prix von Brasilien. Danach lag er allerdings immer noch 15 Punkte zurück, eine scheinbar unüberwindbare Hürde. Sebastian aber war frohen Mutes und holte sich unter Aufbieten all seiner Kräfte, begleitet von Trompetenklängen und Trommelwirbel, auch in Abu Dhabi den Sieg über seine Gegner. Und so bestieg Vettel am Rande der Wüste den Thron, er war gerade einmal 23 Jahre 4 Monte und 11 Tage alt und wurde somit zum jüngsten Herrscher in der Geschichte der Formel 1. 


Das erste Jahr, in dem er mit der Nummer Eins auf seinem Wagen fuhr, wurde zum reinsten Triumphzug: wo auch immer er hinkam, gewann er. 11 GP-Siege, 15 Pole-positions und 739 Runden als Führender. Bei beiden, den Poles und den Runden, übertrumpfte er die Rekorde, die Nigel Mansell 1992 aufgestellt hatte. ​

 


 

Seine Untertanen liebten ihn immer mehr, doch an den Grenzen des Reiches, in der Emilia Romagna, schmiedete eine Handvoll Roter einen Komplott, um ihn vom Thron zu stürzen. Der Staatsstreich scheiterte um Haaresbreite, allein dank der herausragenden Überlegenheit von Sebastian, der auch den letzten Versuch, ihn zu stürzen, in Brasilien vereiteln konnte. 


Für das folgende Jahr hatte er seine Lektion gelernt - auch mit Hilfe seines Druiden Adrian Newey - und so sicherte Sebastian 2013 die Grenzen seines Reiches noch besser und machte mit neun (ja, ihr habt richtig gelesen, neun!) aufeinanderfolgenden Siegen jeden Widerstand sinnlos. Wie es in Märchen oft passiert, füllten sich die österreichischen Generäle ihre Bäuche so voll, dass sie nicht merkten, wie ihre benachbarten Gegner immer stärker wurden, da sie sich mit einer neuen Waffe, dem Turbo, ausstatteten, dessen immense Stärke sich im darauffolgenden Jahr bestätigte. Sebastian wurde sehr traurig, als er in der gesamten Saison 2014 kein einziges Mal die Qualifikation oder das Rennen gewinnen konnte. Die Geschichte nahm ihren Lauf, es kam, wie es kommen musste – statt gegen seinen Willen bei Red Bull zu bleiben, suchte er Unterschlupf bei Ferrari, seiner heimlichen, großen Liebe schon seit seiner Kindheit. Damals wie heute wurde das rote Cavallino von Brembo Bremsscheiben im Zaum gehalten, schon seit 1975. Sie taten den Hufen gut, auch wenn sie damals nur etwa hundert Kühllöcher hatten, da wo es heute mehr als tausend sind. 


Beim zweiten Rendevous, 2015 in Malaysia, kam es zum ersten Kuss, dann brach es aus Sebastian heraus: „Danke, Leute, forza Ferrari!“. In jenem Jahr kam es zu zwei weiteren amourösen Abenteuern - in Ungarn und Singapur. Über das Jahr 2016 breiten wir besser den Schleier des Vergessens aus, im darauffolgenden Jahr konnten die Differenzen jedoch beigelegt werden. Fest im Sattel auf seinem SF70H eroberte Vettel zuerst Australien, dann Bahrain und schließlich auch das Fürstentum Monaco. In Anwesenheit Fürst Albert II. begann Vettel, mit 25 Punkten Vorsprung, an ein fünftes Jahr der Regentschaft zu glauben. Die Enttäuschung war daher umso größer, als dies nicht klappte, trotz eines Aufbäumens in Ungarn und eines weiteren, mittlerweile zu späten, in Brasilien. ​



 

Die Welt hatte sich verändert, aber Sebastian glaubte weiterhin fest an seine Geliebte, die sich dafür 2018 in Australien und Bahrain erkenntlich zeigte. Bevor es zum Feldzug zurück nach Europa ging, hieß es aber noch, unbeschadet durch China und Aserbaidschan zu kommen. Aus allen Richtungen wurde er von Silberpfeilen bedroht und angegriffen, am Ende schleppte sich die Scuderia zahlenmäßig in Unterzahl müde durch den Rest der Saison. 


Der Zauber war gebrochen, die Hochzeit des Jahrhunderts hatte trotz der Verliebtheit und der großen Anstrengungen beider Seiten nicht funktioniert. Ein letztes Lächeln in der Türkei, dann ging Sebastian Ende 2020 ins Exil jenseits des Ärmelkanals, dorthin, wo auch sein Feind vieler Schlachten herkam. ​



 

Immer mehr junge Feldherrn kamen und versuchten, König Ludwig und seinem Silberpfeil das Zepter aus der Hand zu reißen, und so schien der Stern Vettels immer mehr unterzugehen. Doch auch mit Aston Martin zeigte Sebastian noch ein paar Mal auf und bewies sein unglaubliches Talent. Seinen letzten Podiumsplatz ergatterte er in Aserbaidschan. 


Nachdem er vier Jahre lang den gesamten Planeten beherrscht hatte, auf 21 Rennstrecken in allen Winkel der Erde Siege feiern konnte, auf 23 Strecken die Poleposition ergattert hatte und an 26 verschiedenen Standorten auf dem Podium gestanden war, beschloss er im Alter von 35 Jahren, sich auf seinem Anwesen in der Schweiz zur Ruhe zu setzen, passenderweise in einem traditionell neutralen Staat. Seine Heldentaten werden in die Geschichtsbücher des Motorsports eingehen. ​



​​